Blatt oder Stängel?

Nach dem Einzug der deutschen Elf ins EM-Halbfinale und kurzen Eindrücken vom Frankreich-Debakel gegen Spanien kommen wir heute mit leichtem Fußballblick aufs Beet. Die Dreierkette Tomaten, der wir mit erneuerten Plastikhauben doch noch mal eine Chance gegeben haben, könnte besser stehen. Auch das Abwehrbollwerk aus Kartoffeln zeigt sich einmal mehr anfällig für Tempogegenstöße der Kartoffelkäfer. Aufbauarbeit und Ausputzertätigkeiten sind gefragt, auch die eine oder andere Blutgrätsche. Das Prunkstück unseres Beets ist aber nach wie vor das Mittelfeld – mit Zuckererbsen, Zucchini, Mangold und den Resten vom Spinat. Hier bietet unser Kader einfach jede Menge Qualität. „meine ernte“ heißen die Beetanbieter – und diesem Motto folgen wie heute besonders ausgiebig.

Was können oder sollten wir jetzt anstelle der abgeernteten Salate und Kohlrabi pflanzen? Das hätten wir gerne Landwirt Kötter gefragt, doch der ist heute zur Sprechstunde leider verhindert. Hoffentlich nichts Ernstes. Und es gibt weitere Fragen zu klären: Eine Beetnachbarin macht uns auf zwei verschiedene Sorten Erbsen aufmerksam, die für uns gepflanzt wurden: Zuckererbsen und Erbsen. Aber welche sind welche? Und wann werden sie jeweils geerntet? Für uns sahen bisher alle Erbsenpflanzen gleich aus, und wir haben die Schoten – mal flach, mal dick und prall gefüllt – unterschiedslos geerntet und im Salat verarbeitet.

Auch der Mangold, dessen riesige grün-orangefarbenen Blätter jetzt offenbar schon geerntet werden können, wirft Fragen auf: Eine andere Beetnachbarin sagt, die Stile seien verzichtbar. Später aber erhalten wir von Sannes Tante, in Gemüsedingen kompetent und absolut integer, den Hinweis, dass gerade die Stile eine besondere Delikatesse darstellen, ähnlich wie Spargel. Ein wertvoller Tipp“. Doch Gartenarbeit macht hungrig. Deshalb machen wir einen Abstecher zum Dottenfelderhof-Fest in Bad Vilbel, wo wir uns mit deftiger Bratwurst und leckerem Kuchen stärken. Jetzt kochen wir erst mal fürs EM-Halbfinale vor und freuen uns auf weitere Kommentare: Vielleicht haben ja die einen oder anderen Leser ein paar Tipps für uns.

Unsere Ernte

"Unsere Ernte"

 

Kartoffelkäfermassaker

Freude und Enttäuschung liegen oft dicht beieinander. Das gilt für den Alltag wie fürs Gärtnern. Zusätzlich zu beruflichem Stress und Sommergrippe ist Sanne am Donnerstagnachmittag in Frankfurt auf einer schwer erkennbaren Treppenstufe umgeknickt. Als sie später nach Hause kam, konnte sie kaum noch laufen, und ihr rechter Fuß war so dick, dass wir sofort ins Krankenhaus gefahren sind. Zum Glück ist nichts gebrochen, aber die Bänder sind leicht angerissen. Jetzt trägt Sanne eine stabilisierende Schiene, soll den Fuß in Maßen bewegen und vorsichtig belasten.

Also waren wir gestern, Freitagvormittag (als Selbstständige können wir uns das hin und wieder leisten), erst recht zusammen auf dem Beet, um das Nötigste zu tun. Der Anblick vor Ort war dann wieder eine schöne Überraschung: Dank des ausgiebigen Regens hatten fast alle Pflanzen noch mal einen riesigen Satz gemacht. Die ausgetrampelten Beetgrenzen waren kaum noch zu erkennen – so zugewachsen präsentierte sich das Feld: erste kleine Zucchini im Anmarsch, die Salate kurz vor dem Bersten, der dunkelgrün leuchtende Spinat fast schon auf Kniehöhe. Ernten, Unkraut zupfen und nach Ungeziefer schauen, das stand auf dem Programm – und endlich das Einsetzen der Tomatenpflanzen, die Freunde für uns vorbereitet hatten.

Das Ernten war schnell erledigt. Schwieriger und unangenehmer gestaltete sich das Beseitigen der Kartoffelkäfer, die ich an zwei Pflanzen entdeckte. Ich habe sie nicht gezählt, aber es waren etliche Tierchen, die ich von den Pflanzen abnahm und mit Unkrautblättern zerdrückte. Schon ein bisschen eklig. Aber es gibt einen Punkt, an dem heißt es nur noch: Entweder wir oder ihr! Beinahe wie im Actionfim. Parallel zur Schlacht in der grünen Hölle der Kartoffelpflanzen nahm Sanne die drei Tomatenpflanzen aus ihren Töpfen und setzte sie an einer freien Stelle im Wunschbeet ein. Loch buddeln, Pflanze einsetzen, zuschütten. Trotz lädierten Fußes eine gut zu meisternde Aufgabe. Bei der letzten Pflanze durfte schließlich auch ich mein Geschick beweisen.

Tomaten brauchen Sonne und hassen Wasser von oben. Deshalb hatten wir uns auf dem Hinweg im Gartenmarkt drei 2 Meter große Spiralstangen und ein paar Plastikhauben mit Abstandsringen gekauft – schon die etwas edlere Variante. Leider war keine Gebrauchsanweisung dabei, und dann überraschte uns auch noch ein heftiger Regenschauer. Weshalb wir ins Auto flüchteten und dort genervt die blöden Abstandsringe in die doofen Plastikhüllen friemelten. Derweil wurden die drei Tomatenpflänzchen von oben nass… Na prima. Zu guter Letzt stapften wir wieder aufs Beet und stülpten unsere wackeligen Konstruktionen über die Spiralstangen. Zwar hörten sie etwas zu hoch über dem Boden auf, doch schienen sie durchaus Schutz zu bieten. Aber das war uns zu diesem Zeitpunkt fast schon egal. Wir waren nass und wollten nur noch nach Hause.

Tomaten einpflanzen Plastikhülle

Ob das was wird?

Tomatendämmerung

Aber vielleicht hätten wir uns doch noch etwas genauer mit unserer Tomatenschutzvorrichtung auseinandersetzen sollen. Denn heute, Sonntag, folgt die große Enttäuschung. Als ich allein zum Beet komme (Sanne ist wegen ihres Fußes zu Hause geblieben), finde ich die Tomatenpflanzen von den Plastikkonstruktionen erschlagen vor.  Wahrscheinlich hat sie der Wind hin und hergeweht, bis die Stangenspitzen die Luftlöcher im Plastik fanden und alle drei Konstruktionen in sich zusammenfielen. Und dann klatschte noch eineinhalb Tage lang ordentlich Regen drauf.

Es ist die sonntägliche Sprechstunde, so dass bald Landwirt Sven Kötter neben mir steht. „Oh ja, die Tomaten“, sagt er mitfühlend, „das ist mir vorhin schon im Vorbeigehen aufgefallen.“ Aber es muss doch einen Weg geben…, denke ich und komme mir vor wie in einer dieser Arztserien, wenn Spezialisten und Angehörige in kritischer Situation ums Krankenbett herumstehen, während der Patient nur noch ein Röcheln von sich gibt. „Besteht noch Hoffnung?“, frage ich zaghaft. Doktor Kötter denkt nach. Dann schüttelt er mit ernstem Blick den Kopf. „Ist das das Ende?“

„Na ja, vielleicht können Sie es noch einmal versuchen.“ In meiner Vorstellung erklingt plötzlich hoffnungsvolle Orchestermusik. Ich horche auf. „Nehmen Sie diesen Plastikkram mal ganz weg, richten Sie die Pflanzen auf und binden Sie sie jeweils hier und hier an der Metallstange fest. Immer da, wo sich Zweige teilen, kommen Triebe heraus. Das sind die sogenannten Geiztriebe, die müssen sie entfernen, weil sie der Pflanze Energie rauben. Dann hoffen wir auf viel Sonnenschein und schauen mal…“

Das hört sich gut an. Und was ist noch zu tun? „Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen. Der Kohlrabi muss raus, Sehen Sie, er ist hier und da schon geplatzt.“ In der Tat, unter den riesigen Blättern ragen voll ausgewachsene Kohlrabi hervor, meist in der Mitte gespalten. Die waren uns vorgestern gar nicht aufgefallen. Zum Glück kann man sie einfrieren, wie ich auf Nachfrage erfahre. „Auch die Zuckererbsen können Sie hier und da schon ernten“, sagt Herr Kötter weiter und zeigt auf die herabhängenden länglichen Schoten. Die hatte ich ebenfalls noch gar nicht wahrgenommen. „Dann dem Kohl etwas Luft geben“ – er rupft ein paar riesige violette Blätter heraus – „dazu nehmen Sie unten ein paar Blätter ab. Und dann sollten Sie jetzt alle zwei bis drei Tage nach den Zucchini schauen und ernten. Wenn Sie da eine Woche oder länger warten, dann haben Sie“ – er breitet die Arme aus – „solche Riesenapparate!“ Ja, kommen denn noch welche nach? „Ja, das kann bis in den herbst gehen.“

Dass der Spinat dringend abgeerntet werden soll, stand schon im aktuellen Newsletter, und auch nach den Kartoffelkäfern soll ich nochmals schauen. Herr Kötter wirft noch einen Blick auf das vernachlässigte Nachbarbeet, wo immerhin schon ein bisschen passiert ist. Ein Teil sieht recht aufgeräumt aus, in einem anderen wuchert das Unkraut. Seltsame Vorgehensweise. An einer Stelle ragt einsam eine Pflanze in die Höhe und weist etwa 20 bis 30 cm über dem Boden an- und abgefressene Blätter auf. „Raten Sie mal, welches Tier hier geknabbert hat“, sagt Herr Kötter. „Würmer oder Läuse waren’s sicher nicht, das muss schon ein größeres Tier gewesen sein“, antworte ich, stolz auf mein feines detektivisches Gespür. „Richtig, das war ein Hase. Melde heißt diese Pflanze, und die fressen Hasen besonders gern. Na dann, viel Spaß noch, ich muss mal weiter zum nächsten Beet.“

 

Eigentlich hatte ich nur schnell ein bisschen ernten wollen, aber jetzt stehen doch ein paar dringende Arbeiten an. Bändchen für die Tomaten habe ich keine dabei, so ein Mist. Was also tun? Ich mache auf McGyver, schneide kurzentschlossen eine Plastiktüte in kleine Streifen und binde damit die Tomatenpflanzen an den Spiralstangen fest. Langfristig wird das nicht reichen, aber in den nächsten Tagen soll ordentlich die Sonne scheinen. Falls die kleinen Patienten durchkommen, kann man immer noch einen Schutz aufbauen. Es folgt ein weiteres Kartoffelkäfermassaker, dem ich mich schon mit etwas größerer Gelassenheit stelle. Der abgeerntete Spinat füllt eine große Tüte, dasselbe gilt für die restlichen Salate. Ein paar Zuckererbsenschoten fülle ich in eine kleine Extratüte – noch ohne Ahnung, was genau man damit macht. Kohlrabi ernten ist ähnlich wie Salat ernten – man schneidet die Knolle auf der Unterseite, also über der Erde ab. Eine ganz schön zähe Angelegenheit, wenn das Messer eher stumpf ist. Nach eineinhalb Stunden harter Arbeit bei schönem Wetter steige ich erschöpft, aber einmal mehr zufrieden ins Auto. Zu Hause heißt es dann: Salat schnippeln, Spinat blanchieren und einfrieren, und den Kohlrabi gleich dazu. Denn gärtnern beginnt im Kopf, nimmt auf dem Beet Gestalt an und hört in der Küche noch lange nicht auf.

Wunschbeet mit Tomaten

Gefesselte Patienten