Blaue Briefe, leere Tanks

Pfingstmontag, Traumwetter in Hessen. Ein schöner Anlass bringt uns ein zweites Mal innerhalb von zwei Tagen ans Beet. Wir sind mit unseren Eltern zum Essen bei Bad Homburg verabredet, und anschließend wollen wir ihnen stolz „unseren“ Gemüsegarten präsentieren. Die Eltern, selbst ein wenig gartenerfahren, sind beeindruckt,  gehen mit uns die Reihen ab und beweisen ihr Know-how beim Erkennen von Gemüsesorten. Nebenbei gießen wir fleißig nach, denn die Erde wirkt schon wieder reichlich trocken.

Schön, dass auch Landwirt Sven Kötter, der gerade nebenan die eigenen Felder bestellt hat, wieder bei den Hobbygärtnern vorbeischaut und bereitwillig Fragen beantwortet – obwohl er gar keine Sprechstunde hat. Angesichts einiger weniger vor Unkraut strotzender Beete erzählt er, dass schon erste „blaue Briefe“ verschickt wurden. „Schließlich haben die Leute doch einen Vertrag mit uns geschlossen“, resümiert er überhaupt nicht hämisch, sondern vor allem betroffen. Einem engagierten Landwirt wie ihm muss das Herz bluten, wenn er ein bepflanztes Gemüsebeet derart verkommen sieht. Und noch etwas fuchst Herrn Kötter: Erst Samstagnachmittag hatte er die drei 1000-Liter-Wassertanks wiederaufgefüllt – aber irgendein ahnungs- oder auch achtloser Mensch musste einen Hahn nicht richtig zugedreht haben, so dass ein kompletter Tank am Sonntagmorgen wieder leer gelaufen war. Wie blöd oder wie mutwillig muss man sein?

Im Gespräch erfahren wir, dass wir die Kartoffeln gar nicht gießen sollen, Mist! – und dass wir die Erde auf den kleinen Kartoffelpflanzenhügeln mit der Harke ordentlich aufschütten sollen. Ganz wichtig: Neu Gepflanztes soll man gerade in der Anfangszeit alle zwei bis drei Tage gießen. Und tatsächlich: Unsere Sellerie-, Blumenkohl und Paprikapflanzen scheinen nach Wasser zu lechzen. Gut, dass wir vorbeigeschaut haben. So erhalten auch die von uns neu gesetzten Pflanzen ausreichend Feuchtigkeit. Außerdem dürfen wir uns über die ersten Miniaturblätter freuen, die zaghaft aus der Erde lugen: Das müssen unsere Blumen sein. Sie scheinen tatsächlich zu kommen! Angeregt nehmen wir noch einen Kopfsalat, ein paar Radieschen und Spinatblätter mit, dann lassen wir den herrlichen Sommernachmittag in einem Nieder-Erlenbacher Eiscafé ausklingen.

Schuppen und Wassertank

Gerätekammer und Wassertank

Im „grünen“ Bereich

Sechs Tage sind seit unserem letzten Besuch vergangen, und inzwischen ist es sommerlich heiß. Wollen wir die Kartoffeln nicht irgendwann gleich als Bratkartoffeln ernten, sollten wir allmählich mal wieder gießen. Unter der Woche hat es leider nicht geklappt – so ist das eben, wenn zwei selbstständige Großstädter Aufträge reinbekommen und von Termin zu Termin hetzen.

Auch „meine ernte“ hat im aktuellen Newsletter ans Gießen erinnert, das man möglichst morgens oder abends erledigen sollte, damit die nassen Blätter in der Mittagshitze nicht unter einem Brennglaseffekt leiden. Außerdem wurde das Entfernen der Netze empfohlen, damit es den Pflanzen nicht zu heiß wird, verbunden mit dem Rat, den Erbsen ein paar Rankhilfen in Form von Bambus oder anderen Stäben zu geben. Damit ist das Arbeitspensum für den heutigen Samstagmorgen umrissen. Auf dem Hinweg wollen wir schnell noch beim Baumarkt besagte Rankhilfen kaufen, aber leider gibt es dort nur hölzerne oder stählerne Ungetüme – nichts, was unsere Erbsen wirklich weiterbringen würde. Also fahren wir erst mal weiter zum Beet und checken die Lage.

Zum Glück hat der Boden hier und da noch Feuchtigkeit, und insgesamt scheint alles im grünen Bereich. Besser noch: Die Bohnen, die ich beim letzten Mal vermeintlich massakriert hatte, haben sich berappelt und sprießen ordentlich! Na, das nennen wir doch mal ein Erfolgserlebnis! Ebenfalls gut fürs Selbstbewusstsein: Allmählich erkennen wir schon das eine oder andere Gemüse, auch wenn wir hier und da noch den Anbauplan zu Hilfe nehmen müssen. Der Spinat ist so weit, dass wir uns einige Blätter abschneiden können. Auch Radieschen lassen sich teilweise schon ernten. Dabei machen wir allerdings eine Entdeckung, die uns mehr als peinlich ist. Sollen wir das wirklich beichten oder besser für uns behalten? Ach, was soll’s, dafür ist dieser Blog ja da. Also: Die Entdeckung besteht für uns darin, dass wir die Radieschen nur einzeln aus der Erde ziehen und nicht etwa im Bund, wie wir sie doch im Supermarkt immer kaufen. Bisher hatten wir stets die roten Knollen abgebissen oder entfernt und anschließend das gesammelte Grün entsorgt, ohne zu registrieren, dass es sich letztlich um lauter einzelne Radieschen handelt. Ja, wie dämlich ist das denn? Wo immer wir später davon erzählen, ernten wir Kopfschütteln und Lacher. Allerdings: Sind wir wirklich die Einzigen so Ahnungslosen?

Von den Blumen, die wir gepflanzt haben, ist noch nichts zu sehen. Aber so ein Beet steckt ja voller Überraschungen, schaumermal…  Jetzt heißt es Unkraut rupfen und ordentlich gießen, was uns schon recht selbstverständlich von der Hand geht. Dann beschließen wir, kurz zum nahegelegenen Pflanzenhändler zu fahren, um die Rankhilfen für die Erbsen zu besorgen. Doch auch hier werden wir nicht fündig.

Aber irgendetwas müssen wir doch mitnehmen… Also kaufen wir mutig ein paar Blumenkohl-, Sellerie- und Paprikapflanzen, um sie auch noch in unser Wunschbeet einzuzusetzen. Auf dem Weg zurück kommen wir dann an einem Waldstück vorbei, das voller abgebrochener Äste ist. Heute sind wir nicht nur mutig, sondern auch kreativ: Warum nicht diese Äste als Rankhilfen benutzen? Und: Hatten wir das nicht auch auf den Fotos im „Meine Ernte“-Newsletter gesehen? Gesagt getan. Wenig später stecken die Baumreste bei den Erbsen im Beet und Sellerie- wie Blumenkohlpflanzen in der Erde. Noch mal gießen, und dann ist die Arbeit für heute getan. Gelegenheit, noch kurz einen anderen kreativen Hobbygärtner bei der Arbeit zu beobachten. Dessen Beet liegt nahe bei einem der Wassertanks, und der Kollege hat offenbar wenig Zeit: Deshalb flitzt er mit gefüllter Gießkanne zu seinem Beet, um zu gießen, und lässt gleichzeitig Wasser in die nächste Gießkanne laufen. Damit die Kanne nicht überläuft und kein Wasser verschwendet wird, muss er sich schon ziemlich beeilen, was nicht unlustig aussieht.  Wir sind sicher: Auch Landwirt Kötter hätte bei diesem Anblick seinen Spaß!

ted, Äste, Zuckererbsen

Rankhilfe oder Gärtnerstütze?

 

Autsch, das waren die Bohnen…

Nur drei Tage später machen wir uns – Sanne ist längst wieder fit – gemeinsam auf den Weg nach Nieder-Erlenbach. Heute ist Sonntag, und von 11 bis 12 Uhr ist Sprechstunde vor Ort. Da sich auch heute die Zahl der Hobbygärtnerinnen und -gärtner in Grenzen hält, ist Sven Kötter schnell für einen Check unseres Gemüsebeetes zu bekommen: „Das da ist Unkraut… Hier kommen demnächst die Bohnen raus… Dort aufpassen, nicht weghacken, dass sind die beiden Kürbisse und das dort die beiden Zucchini… Und am Schluss die Kartoffeln. In ein paar Tage sollten Sie die Erdhügel noch etwas auftürmen…“ Fachmännisch zieht der Landwirt an etwas Grünzeug und reicht uns plötzlich ein Radieschen. „Die sind auch bald so weit.“ Das Radieschen schmeckt und macht Mut.

Für heute ist das Auflockern des Bodens angesagt – und wir wollen auf unserer kleinen Freifläche nicht nur ein paar vorgezogene Kräuter einsetzen, sondern auch ein paar Sommerblumen pflanzen. Sven Kötter zeigt uns, wie es geht. Die Erde unter den mitgebrachten Kräutern ist zu trocken – wir sollen das Ganze erst mal noch ordentlich wässern und mit Becher einsetzen. Für die Blumensamen sollen wir den Boden etwas lockern, die Samen ausstreuen und nur etwas Erde darüber verteilen. Die Samen sollen nicht zu tief sitzen. Dann etwas gießen, aber nicht zu viel, und fertig!

Minuten später der Schock: An einer Stelle, die ich lediglich mit der Hacke auflockern und von Unkraut befreien wollte, liegen plötzlich grüne Bohnenkapseln. Au Backe! Sven Kötter, den ich schlechtgewissig herbeigerufen habe, grinst. „Ja, das sind die Buschbohnen.“ Und jetzt? Kötter schiebt sie wieder unter die Erde und schüttet sie ganz leicht zu. „Schaumermal. Vielleicht werden sie doch noch was. Aber versprechen kann ich das nicht.“ Seine Worte begleitet ein verschmitztes Grinsen…

Das Erlebnis wirkt nach. Auch an anderen Stellen packt uns die Unsicherheit. Wie war das hier noch mal? Ist das da Unkraut oder auch wieder ein Gemüse, das man ungewollt eliminiert? Nach 2 Stunden Gartenarbeit haben wir gemischte Gefühle. Einerseits genießen wir die frische Luft, die Sonne und das Wissen, etwas Sinnvolles zu tun. Pflanzen eingesetzt und Blumen gesät zu haben, macht uns zufrieden und glücklich. Andererseits kommen uns einige Stellen unseres Gemüsebeetes vor wie ein fremdes Universum. Wir haben keinen Schimmer, was dort vor sich geht und wie es sich weiterentwickeln wird. „Da sind Sie wirklich nicht die Einzigen“, hat uns der Landwirt immerhin getröstet. Na dann: Schluss für heute. Etwas nachdenklich packen wir ein und machen uns auf den Heimweg. Dieser wächst sich zu einer feinen kleinen Radtour aus, komplett mit Zwischenstopp in einem netten Hofcafé. Und bei Torte und Cappuccino sind wir uns wieder sicher: Wir werden schon noch durchblicken!

Sanne pflanzt

Sanne pflanzt