Unter Strom

Beet, Erbsen, Netz

Das sieht doch schon ein bisschen nach gärtnern aus...

17. Mai, Himmelfahrt. Wir sind seit vorgestern Abend zurück in Frankfurt, und heute, am Vatertag, wollen wir gemeinsam zum ersten Mal gärtnern. Aber Sanne hat sich von der Klimaanlage im Flugzeug und dem kalten Frankfurter Regenwetter eine saftige Erkältung geholt. Für mich heißt das: Der Zeitpunkt ist gekommen, meinen Mann zu stehen und Verantwortung zu übernehmen! Zumal das Wetter überraschend gut ist. Der Himmel strahlt, die Sonne lacht. Mit Handschuhen, Minihacke und Abdecknetz bewaffnet, mache ich mich per Rad und U-Bahn auf den Weg nach Nieder-Erlenbach. Was mich dort wohl erwartet? Ein völlig verkommenes „Behrendts Karotte“-Beet umgeben von topgepflegten Vorzeigeparzellen? Oder ein ganz normaler Acker wie die 69 anderen auch? Werde ich wissen, was zu tun ist? Wird mir das Unkraut sofort ins Auge springen? Oder werde ich, wie von Sven Kötter schon für einige Gärtner vorhergesehen, im Eifer des Gefechts und aus Unkenntnis kostbares Saatgut ausrupfen, gar die ganze Ernte vernichten?

Ach, was soll’s, denke ich mir und eile zu unserem Beet. Man sollte einfach keine Angst haben. Sicher sind auch einige der Mitgärtnerinnen und -gärtner da, die man fragen kann. Wenn man dann noch ein bisschen auf die anderen Beete schaut, bekommt man bestimmt eine Idee, was zu tun ist. Und genauso geschieht es. Am Holzschuppen werden Infos und Tipps ausgetauscht, und einige Beete scheinen bereits sorgfältig gepflegt zu sein, so kann man sich ganz gut orientieren. Trotzdem freue ich mich, dass plötzlich Sven Kötter persönlich mitten im Feld steht, außerhalb seiner Sprechstunde. Schön, dass er auch so mal nach dem Rechten schaut, das nenne ich Engagement. Da nur wenige Garden-Greenhorns vor Ort sind, kann ich ihm schnell ein paar Fragen stellen. Und seine Antworten zeigen mir, dass meine Angst, versehentlich Gemüse zu vernichten, nicht ganz unbegründet war. Die Zwiebeln beispielsweise sind kaum zu erkennen, nur ein paar hauchdünne grüne Halme ragen aus der Erde, umringt von Unkrautpflanzen. Hack, zack, und man haut die Zwiebeln mit weg. Dasselbe gilt für die Karotten, man muss schon genau hinschauen und erkennt lediglich ein kleines zarte hellgrünes Gekräusele.

Sven Kötter zeigt mir, welches Kraut ich entfernen muss, und rät, über drei Reihen Bohnen und Erbsen ein Netz zu spannen. Da gebe es Vögel, die besonders dieses Gemüse stiebitzen wollten, also solle man es schützen. Und: nicht zu viel gießen. „Der Boden sieht zwar trocken aus, aber er hat genug Feuchtigkeit. Geben Sie mir mal Ihre Hacke“, sagt er und lockert den Boden auf. „Sehen Sie?“ Tatsächlich: Unter der Oberfläche ist der Boden dunkel, also feucht. „Sie brauchen gar nichts weiter zu machen und höchstens mal eine Pflanze auch einzeln gießen – wenn Sie großflächig gießen, sprießt auch das Unkraut umso mehr. Es ist sogar gut, nicht zu viel Wasser zu geben, denn dann entwickeln die Pflanzen besonders viel Kraft. Da drüben zum Beispiel“, sagt Kötter und zeigt auf eine matschnasse Stelle in einem Nachbarbeet, „ wurde viel zu viel Wasser gegeben. Frisch gepflanzt und völlig übergossen.“ Hm, denke ich und räume ein: „Das könnte mir auch passieren…“ Kötter lacht und enthält sich eines Kommentars. „Jetzt gehe ich erst mal was essen. Und dann zum Schützenfest.“ Tatsächlich hört man seit geraumer Zeit Festlärm aus dem benachbarten Wäldchen. Ganz schön was los in Nieder-Erlenbach, denke ich und staune über das Dorfleben. Ob hier die Welt noch in Ordnung ist? Derweil ist ein paar Beete weiter ein Paar eifrig bei der Sache. „Soll ich hier noch ein bisschen gießen?“ – „Kannst Du da noch etwas Unkraut wegnehmen?“ – „Pass doch auf  mit den Blättern da!“ Ob gemeinsames Gärtnern gut für die Beziehung ist? Oder kann es auch Krisen auslösen?

Egal – Hauptsache, unser Beet kommt erst mal einigermaßen in Ordnung. Von Zeit zu Zeit gehe ich zu meinem Rucksack am „Behrendts Karotte“-Schild. Beim Bücken wundere ich mich immer wieder über das bitzlige Kribbeln an meinem Rücken – ach ja, der Zaun steht ja ganz leicht unter Strom: für Menschen ungefährlich, aber für Tiere, die Gemüse naschen wollen, abschreckend. Aus der halben, vielleicht einen Stunde, die ich veranschlagt habe, werden schnell zwei Stunden. 10 Tage lang kein Unkraut gerupft, da kommt schon was zusammen. Wieder und wieder vergleiche ich unser Beet mit den Fotos auf dem Anbauplan. Die Salate erkenne ich, sie gucken ja auch schon ordentlich aus der Erde. Die Möhren auch, nachdem Sven Kötter sie mir noch einmal gezeigt hat. Auch die dünnen Zwiebelhalme und die Blätter der Roten Beete – erkennbar an ihren kräftigen dunkelroten Adern – werden mir schnell vertraut. Der Rest, und das ist leider die überwältigende Mehrheit, bleibt mir ein Rätsel. Hoffentlich ändert sich das demnächst – und hoffentlich habe ich nicht doch versehentlich ein paar Gemüsesorten eliminiert…

Am Ende meines ersten Tages im Gemüsebeet bin ich erleichtert und stolz zugleich. Es gibt auch noch etliche andere Beete, auf denen bisher kaum etwas passiert ist, und „Behrendts Karotte“ sieht nach getaner Arbeit schon recht ordentlich aus. Das Netz über den drei Reihen Erbsen und Bohnen gibt dem Ganzen sogar einen leicht professionellen Anstrich.  Schnell noch ein paar Fotos, dann radele ich durch die Sonne nach Hause. Zufrieden erzähle ich Sanne von meinen Abenteuern, durch authentische Bilder belegt. Jetzt hat die Gartensaison begonnen.

 

Ferngärtnern

Abendstimmung Lissabon

Abends in Lissabon

Für unser Abwesenheitsproblem finden wir schließlich Lösungsweg 3: ein paar andere Freunde. Die lesen, während wir in Lissabon bei 30 Grad die Sonne genießen, fleißig die von uns weitergeleiteten „meine ernte“-E-Mails und fahren einmal zum Gießen bei unserem Beet vorbei. Ach, gärtnern kann so einfach sein. Und so schön. Gelegentlich schauen wir im Hotel portugiesische Nachrichten. Der Wetterbericht für das ferne Deutschland ist eigentlich schauderhaft, für unser Beet aber ist das Angekündigte ein Glücksfall: viel Regen. Herr Kötter hatte recht. Eine weitere „meine ernte“-Mail verkündet: Gießen bis auf Weiteres nicht notwendig. Das beruhigt ungemein. Aber uns ist auch klar: Wenn wir zurück in Frankfurt sind, müssen wir unbedingt vorbeischauen. Denn Unkraut wächst schneller, als man gucken kann, erst recht wenn es viel regnet.

„Behrendts Karotte“ – der Startschuss!

Der Termin für die feierliche Gemüsegartenübergabe, gleichzeitig Startschuss für die „meine ernte“-Saison, ist nicht ganz so optimal für uns: Montag, 7. Mai. Eigentlich kein schlechter Tag, aber vom 10.–15. Mai haben wir einen Städtetrip nach Lissabon gebucht. Erinnerungen an Freunde und Verwandte werden wach, die kaum in Urlaub fahren wollen, weil sie Angst haben, dass ihre Gärten kaputtgehen. Und wirklich: Was ist, wenn gerade in den ersten Tagen viel gegossen und gejätet werden muss? Wenn wir gleich am Anfang alles versemmeln? Die peinliche Vorstellung, dass alle Beete außer unserem in Schuss sind und Landwirt Kötter energische Brand-Mails verschickt, plagt mich doch ein wenig. Sanne dagegen bleibt obercool. Schließlich haben wir, angeregt durch das „meine ernte“-Team, Freunde eingeladen, mitzukommen. Die können dann ja an unserer Stelle gießen und jäten – gegen ein paar Gratissalate und -gurken, versteht sich.

Aber: Kurz vor dem 7. Mai sagen die Freunde ab, Tennis und Networking-Veranstaltungen sind einfach wichtiger. Wir können und wollen es ihnen nicht verübeln, das Problem unserer Abwesenheit wird sich auch anders lösen lassen. Und tatsächlich: Es gibt gleich mehrere Lösungswege. „Gießgemeinschaft“ etwa, so erfahren wir, lautet eines der Zauberworte: „Bilden Sie Gießgemeinschaften!“ Am besten die Beetnachbarn oder andere nette Mitgärtner fragen und im Gegenzug auch mal deren Beet pflegen, wenn sie nicht da sind.

Das ist eine Option. Doch bevor es so weit kommt, sind wir erst mal auf unsere Parzelle gespannt. Um kurz vor 19 Uhr erreichen wir das riesige „meine ernte“-Feld am Rand von Nieder-Erlenbach. Das Wetter ist prima, der Andrang groß – und unsere Beet ganz anders, als wir es uns vorgestellt haben. In unserer Fantasie hatten wir etwas Quadratisches, vielleicht von etwas Gebüsch Umgebenes gesehen, auf das man auch mal einen Gartenstuhl stellen kann. Doch an so etwas ist vor Ort überhaupt nicht mehr zu denken. Das Beet ist vielmehr ca. 2,50 Meter breit und ca. 18 Meter lang – und als Gemüsebeet absolut sinnvoll, wie wir schnell feststellen. So hat man nicht zu viel von einer Gemüsesorte und kann gleichzeitig ganz viele verschiedene Sorten anbauen. Vor jedem Beet ist ein Pflock mit Namensschild in den Boden gerammt. Den Namen haben die Beetpächter vorher festgelegt, und „meine ernte“ hat sie auf die Schilder geschrieben. „Behrendts Karotte“ heißt unsere Parzelle, was sich vergleichsweise konventionell ausnimmt. Auf den anderen Namensschildern tummeln sich Begriffe wie „Kräuterhexen“, „Gartenfreuden“, „Busch“, „Vitamine“ und, natürlich, „Paradies“ – der Fantasie und dem Offensichtlichen sind keine Grenzen gesetzt, und die meisten Gartennovizen gehen die Sache angenehm selbstironisch an.

Das Gesamtfeld ist mit einem kniehohen Zaun umgeben, der – abgesehen vom heutigen Eröffnungsabend – dauerhaft unter leichtem Strom steht. Die Begrenzungen an den Längsseiten der eigenen Parzelle bestehen aus Trampelpfaden, und die dürfen wir selbst anlegen – das Highlight des Abends. Aber davor werden noch ein paar Gartengeräte – Hacke, Spaten, Gießkanne – erklärt. Sie befinden sich in einem Geräteschuppen, der mit einem Zahlenschloss versehen ist, und dürfen kostenlos benutzt werden. Ebenso wie das Gießwasser, das in drei großen Wassertanks am Rande des Feldes bereitgestellt wird.

Dann endlich werden feierlich die Namen der Beete verlesen. Jeder Pächter erhält einen Anbauplan, und los geht’s zur Parzelle, wo man Wäscheleinen entlang den Beetbegrenzungen auslegt und anschließend die Linien so behutsam wie möglich austritt. Es soll ja nichts kaputt gehen. Eine halbe Stunde später sieht man zig Hobbygärtnerinnen und -gärtner mit ausgebreiteten Armen übers Feld balancieren, ein lustiger Anblick. Ganz Eifrige haben schon gleich ein paar Pflanzen und Gemüsesamen mitgebracht, die sie mit ernster Miene in die Erde setzen. Denn jedes „Meine Ernte“-Beet enthält eine kleine Freifläche, auf der die Pächter säen und anbauen können, was sie wollen. Das Austreten unserer Parzellengrenzen und die Inspektion von Geräteschuppen und Wassertanks haben uns aber schon genug gefordert. Unser Beet flößt uns Respekt ein – das muss für heute reichen. Ein Blick in andere Gesichter sagt uns, dass wir nicht die Einzigen sind, denen es so geht. Langsam rantasten, so lautet die Devise.

Eine Gießgemeinschaft bietet sich heute Abend noch nicht an. Das muss auch nicht sein, denn der Wetterbericht kündigt, so Landwirt Kötter, für die nächsten Tage viel Regen an. Viel Nass von oben ist der zweite Lösungsweg für unser kleines Lissabonproblem. Wahrscheinlich muss die kommende Woche sowieso nur ein bisschen Unkraut gezupft werden, den Rest besorgt der liebe Gott. Eigentlich, so Kötter, findet seine wöchentliche Beet-Sprechstunde sonntags um 11 Uhr statt. Gerade am nächsten Sonntag aber kann er nicht, denn da ist Feuerwehrfest und er unabkömmlich. Deshalb findet die erste Beet-Sprechstunde am Samstag statt. Uns egal, denn dann sind wir ja in Lissabon. Beim Verlassen des Feldes wundern wir uns über Mitpächter, die ruck, zuck bereits ihre gesamte Freifläche zugepflanzt haben – offenbar machen sie das nicht zum ersten Mal. Ein anderer hat sein Beet mit einer Deutschlandfahne markiert – ähnlich irritierend. Eine Fantasieflagge hätte es vielleicht auch getan. Aber was soll’s. So findet man auf jeden Fall sein Fleckchen Heimaterde schneller wieder.

Feld, S. Kötter, K. Oldendorf

Beetübergabe: Sven Kötter und Kerstin Oldendorf