„Behrendts Karotte“ – der Startschuss!

Der Termin für die feierliche Gemüsegartenübergabe, gleichzeitig Startschuss für die „meine ernte“-Saison, ist nicht ganz so optimal für uns: Montag, 7. Mai. Eigentlich kein schlechter Tag, aber vom 10.–15. Mai haben wir einen Städtetrip nach Lissabon gebucht. Erinnerungen an Freunde und Verwandte werden wach, die kaum in Urlaub fahren wollen, weil sie Angst haben, dass ihre Gärten kaputtgehen. Und wirklich: Was ist, wenn gerade in den ersten Tagen viel gegossen und gejätet werden muss? Wenn wir gleich am Anfang alles versemmeln? Die peinliche Vorstellung, dass alle Beete außer unserem in Schuss sind und Landwirt Kötter energische Brand-Mails verschickt, plagt mich doch ein wenig. Sanne dagegen bleibt obercool. Schließlich haben wir, angeregt durch das „meine ernte“-Team, Freunde eingeladen, mitzukommen. Die können dann ja an unserer Stelle gießen und jäten – gegen ein paar Gratissalate und -gurken, versteht sich.

Aber: Kurz vor dem 7. Mai sagen die Freunde ab, Tennis und Networking-Veranstaltungen sind einfach wichtiger. Wir können und wollen es ihnen nicht verübeln, das Problem unserer Abwesenheit wird sich auch anders lösen lassen. Und tatsächlich: Es gibt gleich mehrere Lösungswege. „Gießgemeinschaft“ etwa, so erfahren wir, lautet eines der Zauberworte: „Bilden Sie Gießgemeinschaften!“ Am besten die Beetnachbarn oder andere nette Mitgärtner fragen und im Gegenzug auch mal deren Beet pflegen, wenn sie nicht da sind.

Das ist eine Option. Doch bevor es so weit kommt, sind wir erst mal auf unsere Parzelle gespannt. Um kurz vor 19 Uhr erreichen wir das riesige „meine ernte“-Feld am Rand von Nieder-Erlenbach. Das Wetter ist prima, der Andrang groß – und unsere Beet ganz anders, als wir es uns vorgestellt haben. In unserer Fantasie hatten wir etwas Quadratisches, vielleicht von etwas Gebüsch Umgebenes gesehen, auf das man auch mal einen Gartenstuhl stellen kann. Doch an so etwas ist vor Ort überhaupt nicht mehr zu denken. Das Beet ist vielmehr ca. 2,50 Meter breit und ca. 18 Meter lang – und als Gemüsebeet absolut sinnvoll, wie wir schnell feststellen. So hat man nicht zu viel von einer Gemüsesorte und kann gleichzeitig ganz viele verschiedene Sorten anbauen. Vor jedem Beet ist ein Pflock mit Namensschild in den Boden gerammt. Den Namen haben die Beetpächter vorher festgelegt, und „meine ernte“ hat sie auf die Schilder geschrieben. „Behrendts Karotte“ heißt unsere Parzelle, was sich vergleichsweise konventionell ausnimmt. Auf den anderen Namensschildern tummeln sich Begriffe wie „Kräuterhexen“, „Gartenfreuden“, „Busch“, „Vitamine“ und, natürlich, „Paradies“ – der Fantasie und dem Offensichtlichen sind keine Grenzen gesetzt, und die meisten Gartennovizen gehen die Sache angenehm selbstironisch an.

Das Gesamtfeld ist mit einem kniehohen Zaun umgeben, der – abgesehen vom heutigen Eröffnungsabend – dauerhaft unter leichtem Strom steht. Die Begrenzungen an den Längsseiten der eigenen Parzelle bestehen aus Trampelpfaden, und die dürfen wir selbst anlegen – das Highlight des Abends. Aber davor werden noch ein paar Gartengeräte – Hacke, Spaten, Gießkanne – erklärt. Sie befinden sich in einem Geräteschuppen, der mit einem Zahlenschloss versehen ist, und dürfen kostenlos benutzt werden. Ebenso wie das Gießwasser, das in drei großen Wassertanks am Rande des Feldes bereitgestellt wird.

Dann endlich werden feierlich die Namen der Beete verlesen. Jeder Pächter erhält einen Anbauplan, und los geht’s zur Parzelle, wo man Wäscheleinen entlang den Beetbegrenzungen auslegt und anschließend die Linien so behutsam wie möglich austritt. Es soll ja nichts kaputt gehen. Eine halbe Stunde später sieht man zig Hobbygärtnerinnen und -gärtner mit ausgebreiteten Armen übers Feld balancieren, ein lustiger Anblick. Ganz Eifrige haben schon gleich ein paar Pflanzen und Gemüsesamen mitgebracht, die sie mit ernster Miene in die Erde setzen. Denn jedes „Meine Ernte“-Beet enthält eine kleine Freifläche, auf der die Pächter säen und anbauen können, was sie wollen. Das Austreten unserer Parzellengrenzen und die Inspektion von Geräteschuppen und Wassertanks haben uns aber schon genug gefordert. Unser Beet flößt uns Respekt ein – das muss für heute reichen. Ein Blick in andere Gesichter sagt uns, dass wir nicht die Einzigen sind, denen es so geht. Langsam rantasten, so lautet die Devise.

Eine Gießgemeinschaft bietet sich heute Abend noch nicht an. Das muss auch nicht sein, denn der Wetterbericht kündigt, so Landwirt Kötter, für die nächsten Tage viel Regen an. Viel Nass von oben ist der zweite Lösungsweg für unser kleines Lissabonproblem. Wahrscheinlich muss die kommende Woche sowieso nur ein bisschen Unkraut gezupft werden, den Rest besorgt der liebe Gott. Eigentlich, so Kötter, findet seine wöchentliche Beet-Sprechstunde sonntags um 11 Uhr statt. Gerade am nächsten Sonntag aber kann er nicht, denn da ist Feuerwehrfest und er unabkömmlich. Deshalb findet die erste Beet-Sprechstunde am Samstag statt. Uns egal, denn dann sind wir ja in Lissabon. Beim Verlassen des Feldes wundern wir uns über Mitpächter, die ruck, zuck bereits ihre gesamte Freifläche zugepflanzt haben – offenbar machen sie das nicht zum ersten Mal. Ein anderer hat sein Beet mit einer Deutschlandfahne markiert – ähnlich irritierend. Eine Fantasieflagge hätte es vielleicht auch getan. Aber was soll’s. So findet man auf jeden Fall sein Fleckchen Heimaterde schneller wieder.

Feld, S. Kötter, K. Oldendorf

Beetübergabe: Sven Kötter und Kerstin Oldendorf

„meine ernte“ – eine tolle Idee!

Ohne „meine ernte“ würden wir jetzt nicht von selbst gezogenen Tomaten träumen, uns keine Gedanken über das richtige Schuhwerk oder die passende Arbeitskleidung machen, weder lustige Salatpartys noch verschimmelte Gurken imaginieren und auch nicht von der Invasion der Killerkartoffelkäfer fantasieren. Aber wer und was ist „meine ernte“? Dahinter stecken die beiden Betriebswirtinnen Wanda Ganders und Natalie Kirchbaumer, die sich beim Studium in Mannheim kennengelernt hatten. Irgendwann hatten sie genug von ihren festen Jobs und entwickelten gemeinsam eine spannende Geschäftsidee: Sie wollten dafür sorgen, dass Städter ihr eigenes Gemüse anbauen können, stets für eine Saison. Zum Kennenlernen und Ausprobieren, vielleicht auch als Entscheidungshilfe für einen späteren eigenen Garten.

Bei der Realisierung ihrer Idee, zunächst nebenbei verfolgt, wurde bald der Aufwand zu groß. Also kündigten die beiden ihre Festanstellungen und stürzten sich in die Selbstständigkeit. 2010 gingen Ganders und Kirchbaumer in sechs Städten an den Start. Heute sind sie mit ihrem Unternehmen „meine ernte“ in 16 deutschen Städten vertreten, wo sie jeweils mit Landwirten vor Ort ihre Vereinbarungen getroffen haben. Die Landwirte stellen das Feld und säen und pflanzen einmalig diverse Gemüsesorten aus – die in Gartendingen meist unbedarften städtischen Hobbygärtner pachten eine Parzelle für eine Saison, müssen ihr Gemüsebeet selbst pflegen, dürfen das vom Landwirt Gesäte ernten und können nach Belieben nachsäen. Anleitung und Unterstützung erfolgt durch regelmäßige Newsletter mit allen wichtigen Infos – und durch die Sprechstunde, die der Landwirt einmal pro Woche vor Ort für die Pächter durchführt. Gartengeräte und Gießwasser werden gestellt. Wie man aus der Tagespresse erfährt, wollen die beiden Gründerinnen 2013 erstmalig in die Gewinnzone vorstoßen. Wir wünschen ihnen dafür viel Erfolg!