Grünschnabelgrillen

„Ihr schafft das schon!“ – „Jeder kann grillen! Wo ist das Problem? – „Probegrillen? (prust!) Das habe ich ja noch nie gehört!“ So lauten die Kommentare, als wir im Freundeskreis nicht nur einen Grillabend im Garten, sondern auch ein unauffälliges Übungsrösten im kleinsten Kreis zwei Tage vorher ankündigen. Ja, zum Probegrillen stehen wir. Man kann doch nicht Leute einladen und vollmundig lecker Essen ankündigen („Wenn Ihr wollt, dann bringt vielleicht einen Nachtisch mit, den Rest machen wir“), und dann schütteln die Gäste mit knurrendem Magen den Kopf, weil wir keine ordentliche Glut hinkriegen. Bisher sind wir nämlich immer nur ausgesprochen gute Grillfestgäste gewesen – selber zum Grillen eingeladen, geschweige denn gegrillt haben wir nie…  

Das Schöne: Oma Mohr besitzt einen guten alten gusseisernen Grill. Der Nachteil: Das feine Stück war 13 Jahre lang nicht in Betrieb, und Oma Mohr hatte selbst nie mit der Fleischzubereitung im Garten zu tun. Das war immer der Job ihres Mannes gewesen, der es darin zu einer gewissen Kunstfertigkeit, wenn nicht gar Meisterschaft gebracht haben soll. Nach seinem Tod hatte Oma Mohr keine Lust mehr aufs Grillen verspürt, auch wenn der Garten selbstverständlich weiter Treffpunkt für Familie, Freunde und Bekannte geblieben ist. Und jetzt: Auftritt der Grünschnabelgärtner – Grillfest-Revival unter veränderten Vorzeichen. Grünschnabelgrillen sozusagen.

Als Erstes bergen wir die stählernen Einzelteile der Röststation aus einer alten Holzkiste und setzen sie zusammen. Wir staunen nicht schlecht: ein solides Gerät, aus heutiger Sicht im Vintage-Style, so was hat nicht jeder. Einen Tag vor dem geplanten Übungsröstgang sprechen wir beiläufig  unsere kroatischen Nachbarn an. Bei denen steigen nämlich fast jeden Abend Rauschschwaden und Appetit machende Bratendüfte auf. Ob sie uns denn mal zeigen könnten, wie man so einen Grill zum Grillen bringt, fragen wir. Und sie: Klar, das machen wir, kein Problem. 

Und so kommen alle am nächsten Abend zum Probegrillen zusammen: Oma Mohr und wir mit Holzkohle und Öko-Zündpads, die kroatischen Nachbarn mit kleinen Ästen und Zweigen, vor allem aber mit geballtem Fachwissen. Wir zündeln, es knistert, die Temperatur unter dem Fleischrost steigt. Spiritus, „Mit Bier löschen“ und das Absingen von Trinkliedern sind tabu – wir sind ja nicht bei einer RTL-Doku, à la „Deutschlands härteste Griller“! Am Ende liegen tatsächlich wunderbar gebräunte Würstchen auf unseren Tellern und schmecken prima – auch den drei Freunden, denen wir noch Bescheid gesagt haben und vor denen uns ein Scheitern nicht wirklich peinlich gewesen wäre.

Dass dann auch das eigentliche Grillfest ein Erfolg wird, versteht sich beinahe von selbst. Es gibt genügend Fleisch vom Markt, Oma Mohr hat zusätzlich ein paar Schweinelendchen mariniert. Wir belassen es beim Standard-Grillen – Special Effects wie „Kräuter in die Glut“ und „Gemüsegaren in der geölten Alufolie“ heben wir uns fürs nächste Mal auf. Auch der von den Gästen mitgebrachte Nachtisch schmeckt, das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Fazit: Grillen kann wirklich jeder. Und: Endlich haben wir mal unsere kroatischen Gartennachbarn näher kennengelernt.

Garden-Sharing „Young meets Old“: Plädoyer für’s Mehrgenerationengärtnern

Oma Mohrs Garten liegt an einem der Hauptwege der Anlage – und der führt schnurstracks zur Vereinskneipe. Klar, dass da viele Leute vorbeikommen, wenn wir grünschnabelgärtnern. „Kein gutes Wetter zum Aussäen, aber was muss, das muss“, rufen uns die Leute zu und: „Das sieht ja schon richtig professionell bei Ihnen aus.“ Oder aber vielsagend knapp: „Es wird, es wird!“ Wir legen unser Expertengesicht auf und bedanken uns, räumen dann aber noch im selben Atemzug ein, dass wir eigentlich gar keine Ahnung vom Gärtnern haben. Was wiederum Ratschläge und Bekenntnisse nach sich zieht,  à la „Des Unkraud bekämpf’ isch mit Salz, isch kriech doch net uff’m Boden rum“ und: „Ich muss Ihne ehrlisch saache, bei mir werdde die Tomade nix.“

Zwischen Setzling und Löwenzahn bekommen wir auch private Geschichten zu hören. Sie handeln von ernsthaften Nachbarschaftsstreitereien um Gartenzäune, vom Familienvater, der die volle Gartenübernahmegebühr zahlen musste, obwohl der Garten der verstorbenen „Schwieschermudder“ gehörte, oder vom älteren Herrn, der einst eine Kroatin bei sich aufnahm und jetzt, nachdem er einen Schlaganfall erlitten hat, liebevoll von ihr betreut wird. Jüngere Familien berichten, dass es schon ganz schön zeitaufwendig und kaum zu schaffen ist, so einen Garten allein zu bewirtschaften. Der anstrengende Job, die Kinder, Sie wissen schon… Und immer wieder wird über ältere Leute erzählt, die kürzlich von einer Krankheit ereilt wurden und deshalb nicht mehr ganz so oft in der Anlage gesehen werden.

Dann werden auch wir gefragt: „Wo ist eigentlich Oma Mohr? Haben Sie den Garten von ihr übernommen?“ Woraufhin wir wahrheitsgemäß berichten, dass es Oma Mohr blendend geht und dass sie doch fast jeden Tag da ist. Unser „Modell“ – wir helfen so gut es geht, dafür dürfen wir ein bisschen Gemüse pflanzen und den Garten mitnutzen – spricht viele Vorbeiflanierende an. Manchmal kommt auch einer der Vereinshäuptlinge vorbei und sagt: „Ei, nemme se sisch doch noch en eischne Gadde dazu“, offenbar wird Nachwuchs gesucht und unser bescheidener Einsatz registriert. Aber wir winken ab: „Nee, nee, so einen Garten würden wir allein gar nicht schaffen. Wir sind beide berufstätig und selbstständig noch dazu – das hier ist im Moment genau das Richtige für uns.“

Das empfindet auch Oma Mohr so, und offenbar nicht nur sie. Denn neulich schaute eine andere ältere Gartenpächterin vorbei und fragte ganz interessiert nach unserem Modell. „Ach, isch tät misch aach freue, wenn isch so’n paar junge Leut’ hätt’, die sisch den Gadde mit mir teile. Alaans schaff isch des nemmer so gut.“ Tja, und da kristallisiert sich doch allmählich ein Zukunftskonzept heraus. Die Jüngeren würden gern, haben aber weder Know-how noch viel Zeit – die Älteren wiederum haben Zeit und Know-how, können aber nicht mehr so gut. Warum machen nicht mehr Leute Garden-Sharing „Young meets Old“? Das Konzept des Mehrgenerationenhauses übertragen auf den Schrebergarten? Ein Modell, bei dem eigentlich alle Beteiligten nur profitieren können. „Wir haben noch ein paar Freunde, die vielleicht Interesse hätten“, sagen wir der Nachbarin. „Die können wir ja mal fragen.“

Das Machtwort

„Heut geh’n wir zum Samen-Andreas…“ Das klingt, also bitte, erst mal komisch, macht aber absolut Sinn, wenn man den vorgezogenen Gemüsepflanzen noch ein paar Setzlinge und weiteres Saatgut mit auf den Weg geben will, damit sie sich im Beet nicht so alleine fühlen. Der „Samen Andreas“, ein Fachgeschäft in der Frankfurter Töngesgasse, ist ein Tipp von Oma Mohr, und dort bedienen ein paar kauzige, aber sehr sympathische, sehr geduldige und sehr kompetente Experten. Von unseren Eltern haben wir ein sehr schönes und sehr anschauliches Gartenbuch geschenkt bekommen. Es heißt „Kleiner Garten, große Ernte“ und stammt von der Britin Lucy Halsall, daraus haben wir die Idee, unser Gemüsebeet in Rechtecke und Quadrate aufzuteilen und kompakt zu bepflanzen.

Zusammen mit dem lustigen Andreas-Mitarbeiter gehen wir unseren losen Beetplan durch und kaufen Brokkoli, Gurken, Paprika, Strauchtomaten („Diese Sorte ist total pflegeleicht, man muss nicht mal ausgeizen“ – prima!) sowie zusätzlichen Kohlrabi in Form von Pflänzchen und Setzlingen, dazu ein paar Samen, die nicht in der „meine ernte“-Box dabei waren. Klar können wir uns merken, welches welche Pflanze in unseren Einkaufstüten ist, beteuern wir inbrünstig, und der junge Mann, der uns bedient, schmunzelt schon weise in sich hinein. Tatsächlich müssen wir zu Hause feststellen, dass wir außer Kohlrabi und Tomaten kaum noch einen Grünling verlässlich identifizieren können. Wir sind eben immer noch Grünschnabelgärtner und hoffen, dass uns Oma Mohr auf die Sprünge hilft…

In der Folge suchen wir nach dem geeigneten Zeitpunkt, das ganze Geranke und die zusätzlichen Samenkörner endlich zu Beet zu bringen. Doch die Eisheiligen, das Sauwetter und letztlich unsere zeitraubenden Jobs halten uns immer wieder davon ab. Sind wir mal im Garten, überbrücken wir die Wartezeit mit Unkrautjäten und Rasenmähen, es gibt ja immer was Sinnvolles zu tun, dazu kocht Oma Mohr hin und wieder ein leckeres Gericht. Wäre ihre Gartenhütte ein öffentlich zugängliches Restaurant, wir könnten die „Frankfurter Sauerampfersuppe mit Bärlauchblüte“ samt „Pfannkuchen mit Frischkäse-Gartenkräuter-Füllung“ allerwärmstens empfehlen. Tag für Tag gibt es einen anderen Grund, das vorbereitete Beet nicht anzurühren, bis Oma Mohr ein Machtwort spricht: „An Pfingsten, spätestens bis Pfingstmontag, wird gepflanzt, egal wie das Wetter ist! Sonst kriegen wir das Zeuch nie mehr in die Erde.“

Und so finden wir an den Pfingsttagen zwischen Familienbesuchen und Homework für unsere Jobs ein paar Stunden Zeit, um unseren Beetplan in die Tat umzusetzen. Oma Mohr hat Zwiebeln, Salatsetzlinge und Kressesamen gekauft, wir haben unsere zu Hause vorgezogenen Pflanzen und die Einkäufe aus der Töngesgasse dabei. Natürlich kann uns unsere Lehrmeisterin sagen, was wir da für Setzlinge besorgt haben.

Und dann wird umgepflügt, aufgelockert, in Rechtecke und Quadrate eingeteilt, mit Kompost und Gemüseerde vermischt, ausgehoben, eingesetzt, gesät und gegossen, was die Matschehände und das Gartengerät hergeben. Durch den vielen Regen ist der Boden wunderbar locker, eigentlich herrschen optimale Bedingungen. Oma Mohr macht anfangs mit und zeigt uns, wie es geht, dann sind wir auch einige Stunden allein zugange. Gegen das Grünzeug aus dem Laden sehen unsere vorgezogenen Küchenpflänzchen schon etwas verhutzelt aus, das müssen wir zugeben – trotzdem hoffen wir, dass sie hier draußen eine Chance haben. Die momentane Witterung mit ständigen extremen Temperaturschwankungen wird ein echter Härtetest, frei nach dem simplen Motto: Hopp oder top!

Mangold, Karotten, Spinat und Bohnen konnten wir zum Ende der Pfingsttage nicht mehr aussäen – aber Oma Mohr hat uns versprochen, das Werk in den nächsten Tagen für uns zu vollenden. Wir müssen blöderweise arbeiten und sagen: Ganz herzlichen Dank!