Wie lässt sich die Stimmung der Grünschnabelgärtner in einem Wort beschreiben? Wir sagen nur: Gartengenusszeit! Nach einigen Startschwierigkeiten blüht und sprießt hier alles, dass man schier überwältigt ist. Das bisschen Unkraut jäten oder gießen macht man gerne, dafür wird man mit einer wahren Farbenpracht, reicher Ernte und nettem Beisammensein unterm Mirabellenbaum belohnt. Oma Mohr lässt es sich nicht nehmen, aus dem frisch geernteten Gemüse leckere Schmankerl zuzubereiten. Gerne schauen auch mal Freunde kurzfristig vorbei, und es ist einfach toll, wie unsere Gastgeberin jede und jeden willkommen heißt und sich für die Personen hinter den neuen Gesichtern interessiert. Umgekehrt sagen auch unsere Freunde hinterher: „Die ist ja echt nett, Eure Oma Mohr, da habt Ihr wirklich Glück gehabt.“ – „Ja, das haben wir“, antworten wir und danken ganz nebenbei auch dem guten alten Herrn Schreber für die Erfindung des Schrebergartens.
Aber was genau hat es mit dem guten alten Herrn Schreber und der Erfindung des gleichnamigen Gartens eigentlich auf sich? Wir recherchieren und staunen nicht schlecht. Die landläufige Meinung und die historischen Fakten driften nämlich stark auseinander. Die landläufige Meinung: Ähnlich wie später Ernst May und andere Helden des sozialen Wohnungsbaus war der Berliner Herr Schreber einst beseelt von dem Gedanken, sozial schwächeren Menschen in größeren Städten Möglichkeiten der Naherholung und der Selbstversorgung mit Gemüse zu bieten. Fakt dagegen: Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808–1861) war ein Leipziger Arzt und Orthopäde, der letzlich nur als Namensgeber fungierte – mit Gärten hatte er eigentlich nichts am Hut. Beseelt war er zwar, aber von ganz anderen Gedanken: Angesichts der Industrialisierung und der zunehmenden Kinderarbeit wollte er Kindern und Jugendlichen, die an Bewegungsmangel litten, Frei- und Bewegungsräume bieten. Seine Idee: eine Art Spielplatz, wo sich die jungen Menschen unter Anleitung austoben konnten. Das klingt erst mal nicht schlecht, ABER: Herr Schreber wollte auch den edlen Geist seiner Schützlinge herausbilden, und das mit drastischen Methoden: So baute er Streckbänke, Schraubstöcke und seltsame Gerüste, die Kinder beispielsweise in die richtige Sitzposition zwangen. Auch in Sachen Geisteswohl war er offenbar ganz hart drauf. Er wollte seine Schützlinge von seelischem „Unkraut“ befreien und galt als Despot und Tyrann – als so erzkonservativ in seiner Erziehung, dass heutige Experten ihn in die Nähe der „Schwarzen Pädagogik“ rücken, also einer Pädagogik, die letztlich auf das Brechen der jungen Menschen zielt. Von daher scheint es kaum verwunderlich, dass einer seiner beiden Söhne Selbstmord beging und der andere in der Psychiatrie landete – wo er prompt ein Buch schrieb. Das wiederum machte ihn zu einem der weltweit berühmtsten Psychiatriepatienten und veranlasste den berühmten Psychoanalytiker Sigmund Freud zu einer seiner großen Fallbeschreibungen.
Schrebers erster Kinderspielplatz entstand in Leipzig. Erst der Schulleiter Heinrich Karl Gesell kam auf die Idee, dort auch Gärten anzulegen. Und diese Gärten wurden zunehmend Treffpunkt der Eltern und der ganzen Familien. Diese Familienbeete wurden später umzäunt und – in Erinnerung an Moritz Schreber – „Schrebergärten“ genannt.
Der Fairness halber muss man sagen, dass Herr Schreber zu seiner Zeit ein angesehener Arzt und Pädagoge war. Dass er noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein einen guten Ruf genoss, mag dem preußischen Erbe und der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands bis zum traurigen Höhepunkt 1933–1945 geschuldet sein. Aus heutiger Sicht aber kann man höchstens noch die Schreber’sche Idee von Bewegungsräumen für Kinder und Jugendliche gutheißen. Der Begriff des Schrebergartens allerdings hat sich durchgesetzt und spukt bis heute in unseren Köpfen herum, verbunden mit Gedanken an irgendwelche sozialpolitischen Ideen. Das könnte aus der unbewussten Vermengung mit den sogenannten Armengärten resultieren, die Ende des 18. und Anfang des 19. jahrhunderts von Landgrafen und Privatinitiativen auf den Weg gebracht wurden, um Hunger und Verarmung zu bekämpfen. Die Gartenanlage, in der wir bei Oma Mohr zu Gast sind, verdankt sich wiederum der Initiative einiger Rosenfreunde. Die gründeten bereits 1894 einen Verein, um, so das Gründungsprotokoll, „den Gartenbau und für uns die Rosencultur in höchste Blüthe zu bringen“. Der Verein ist Mitglied in der Stadtgruppe Frankfurt der Kleingärtner e.V. und gehört dem Landesverband Hessen e.V. an. Bestandteil der Pachtverträge mit der Stadt Frankfurt ist die städtische „Kleingartenordnung“. Eigentlich sind wir also zu Gast in einem Kleingarten. Und nach allem, was unsere Recherche ergeben hat, fühlen wir uns in einem solchen Kleingarten doch etwas wohler als in einem Schrebergarten.
Statistiken zufolge nimmt der Anteil an Familien und jungen Menschen unter den Kleingartenpächtern seit der Jahrtausendwende stetig zu. Daneben suchen jüngere Leute andere grüne Wege, wie „Urban Gardening“, „Guerilla Gardening“ und ähnliche Phänomene zeigen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.