Mensch, war das ein mauer Sommer. So richtig warm war’s selten, und manchmal konnten wir von Glück sagen, dass uns wenigstens warm ums Herz wurde. Ganz besonders war das der Fall bei einer Geschichte, die wir am Tag nach dem Sommerfest der Gartenanlage von Renate und Helmut hörten. Es war bei den Aufräumarbeiten, für die die helfenden Kleingärtner ein paar Bierchen und Grillsteaks spendiert bekamen. Wir kamen neben Helmut und Renate zu sitzen, sie kamen vom Hundertsten ins Tausende und irgendwann mit dieser Story heraus:
Einst hatte Helmuts Mutter einen wunderschönen Garten in der Anlage. Und nicht nur das: Sie hatte auch eine kleine Schildkröte, gekauft in einem Zoogeschäft in der Brückenstraße, wo unter anderem ein Affe frei herumalbern durfte. Die Schildkröte hieß Olga. Olga lebte glücklich und zufrieden. Es gab genug zu fressen, sie konnte munter umhersreifen – und sie wurde geliebt. Natürlich wollten Helmut, seine Mutter und Renate nur das Beste für ihr Lieblingstier. Aber sie hatten auch Angst, dass Olga eines Tages fortlaufen und irgendwo unter die Räder oder sonstwie zu Schaden kommen könnte. Also bohrte Helmut ein Loch in das hintere Ende von Olgas Panzer, führte ein Seil hindurch und machte einen Knoten. Das andere Ende des Seils, das selbstverständlich lang genug war, band er um einen Baum. So konnte Olga tagsüber ihr Leben im Freien genießen, hatte aber keine Möglichkeit zu entfleuchen.
Das war um 1980. Alte Fotos zeigen Olga, wie sie an der Leine durch den Garten spaziert – und wie sie mit Fridolin, einer Schildkröte aus dem Nachbargarten, herumtollt, wenn man das bei Schildkröten so sagen kann. Doch dann, zwei, drei jahre später, passierte das Unmögliche. Eines Tages war Olga plötzlich weg. Renate, Helmut, die Mutter – alle waren geschockt. Neben der Sorge um das arme Tier stellte sich vor allem eine Frage: Wie war Olga weggekommen? Hatte sie vielleicht das Seil durchgeknabbert und war getürmt? Oder hatte sie einfach jemand losgemacht und mitgenommen? Verzweifelt wurde gesucht, tage- und wochenlang, doch ohne Erfolg.
Irgendwann wich die Trauer einem Sich-Fügen, der Alltag kehrte wieder ein. Die Jahre vergingen, und natürlich spielte sich weiterhin ein großer Teil des Lebens in der Gartenanlage ab. Schräg gegenüber vom Garten der Mutter hatten Helmut und Renate ihre eigene Parzelle. Die Mutter starb, ihren Garten übernahmen andere Pächter, mit denen man sich schnell anfreundete. Inzwischen war auch Enkel Lukas auf der Welt, ein aufgeweckter Junge.
Im Februar 2013 dann, Helmut weiß es noch ganz genau, der Knaller: Die Pächter, die den Garten der Mutter übernommen hatte, kamen aufgeregt herüber. „Los, komm mit“, riefen sie Helmut zu, „und schau dir an, was wir bei uns gefunden haben!“ Helmut ließ alles stehen und liegen, lief mit den Nachbarn hinüber und staunte nicht schlecht: Im Gras saß eine stattliche, 3,8 kg schwere Schildkröte. Unseren Helmut beschlich eine Ahnung. Und er wusste, es gab ein einzigartiges Merkmal, anhand dessen er das Tier vielleicht identifizieren konnte. Also nahm er die Schildkröte behutsam auf, um das hintere Ende ihres Panzers zu untersuchen. Und siehe da: Er fand exakt das Loch, das er einst gebohrt hatte. Nun bestand kein Zweifel mehr: Olga war zurückgekehrt.
Ein unfassbares Wiedersehen, und das nach 30 Jahren – schade, dass Helmuts Mutter das nicht mehr erleben konnte! Sogleich ging Helmut mit dem Tier zum Reptiliendoktor Riedel in Niederrad. Und der bescheinigte ihm einen hervorragenden Gesundheitszustand. Mehr noch: Alles wies darauf hin, dass Olga in einer Wohnung vorbildlich gehalten worden war. Weshalb Helmut annimmt, dass jemand die Schildkröte damals gestohlen und nun – vielleicht weil sie zu groß oder aus anderen Gründen nicht mehr zu pflegen gewesen war – reumütig genau am Ursprungsort wieder ausgesetzt hatte. Wie auch immer: Helmut und Renate freuten sich riesig über Olgas Rückkehr, und Lukas hat seitdem eine neue Spielgefährtin. Beide „wohnen“ zusammen in einem kleinen Holzturm, den Helmut selbst gezimmert hat. Angebunden wird Olga nicht mehr – aber der Garten ist ringsum so gesichert, dass sie nirgends durchschlüpfen kann. Olga ist mit ihren rund 50 jahren superfit und superschlau, sie soll sogar angerannt kommen, wenn man sie ruft. Und zünftig Gassi gehen kann man mit ihr auch. Im Winter kommt sie wie jedes Jahr ein paar Monate lang in den Kühlschrank. Um 2015 rechtzeitig wieder aufzuwachen. Dann rennt Olga hoffentlich einem heißeren Sommer entgegen!
Hallo Lieber Ted, klasse Geschichte. Jedoch ein Veto meinerseits. Mai, Juni und Juli waren wettertechnisch super gut. Deswegen würde ich vom mauen August nicht gleich auf den ganzen Sommer schließen. Das hat er wirklich nicht verdient. ;-)Grüße Gold